Ein Ostergruß


Das Leid der Welt

Karfreitag, ein düsterer Tag für alle Christ*innen – Trauer um einen Verrat und um den Mord an einer Lichtgestalt, deren Botschaft zu früh, zu hell, zu unverständlich, zu weltbewegend war?

Für mich, primär evangelisch und sekundär buddhistisch-sufistisch nachsozialisiert, ist Karfreitag kein Tag wie jeder andere.  Nein, am Karfreitag schweigen, zumindest für einen Tag, alle Heilsbotschafter und Lichtversprecher, denn am Karfreitag ist unendlicher Raum für das ganze Leid des Mensch-Sein-Dilemmas; Karfreitag darf wahrgenommen und sogar ausgesprochen werden, was uns quält, zweifeln lässt und hindert, die zu sein, die wir sein wollen. Das Leid der gebrochenen Schwüre und Herzen, das Leid des Verlustes, der Angst, der Ohnmacht – das alles darf an diesem Tag sein. Ohne Trost, trostlos.

Kein froher Tag, kein Tag zum Feiern – na und? Ein Tag, der unser Mitgefühl braucht, im ersten Schritt mit dem eigenen Leid, Zeug*in sein für den Schmerz des eigenen Herzens, des getrennt Seins vom Göttlichen. Und Mitgefühl mit allen Wesen, die leiden: Menschen überall auf der Welt, aber auch Tiere, Pflanzen, Sterne was auch immer.

Karfreitag ruft tief in unsere Herzen: Sieh mein Leid, es ist auch deins. Ich bin Flüchtling, geschändete Frau, Mörderin und Mordopfer, Sklavin und Despotin, bin die dunkelste und hellste Seele – überall. Ich fühle und sehe das Leid und wende mich nicht ab, nicht am Karfreitag, ich wende mich ihm zu, nehme alles Leid in mein Herz, das auch das Herz des Göttlichen, Allahs, Shivas und Buddhas und wessen auch immer ist und halte es. Verwandle es in Mitgefühl und Liebe. Atme aus.

Im tibetischen Buddhismus gibt es dazu eine Übung, die Tonglen-Meditation, die genau das anleitet: verbinde dich und dein Leid mit dem Leid der Welt und transformiere es dadurch.

Auferstehung?

Und dann der Ostersonntag, der Tag der Auferstehung, der alles Erlittene heilt, die Botschaft ist klar: Es gibt keinen Anfang und kein Ende, nicht Tod, nicht Leben, kein Leiden, kein Ende vom Leiden. So ist es für mich, das Herz-Sutra aus dem Zen erzählt darüber ausführlich.

Es ist ein Erwachen der Liebe über alles hinaus, ein Erwachen des Herzens, der Verbundenheit, des Überall-Göttlichen, des All-Einen, das nur im vollen Licht erscheint, wenn auch die dunkle Seite ihren Raum bekommt. Kein Licht ohne Schatten, keine Auferstehung ohne Kreuzigung, kein Erwachen ohne Schlaf. Das ist leicht zu sagen und zu schreiben, aber sehr schwer zu leben. Denn es gibt keine Abkürzungen, auch wenn es manchmal anders aussieht und auch wenn heute vieles schneller, leichter geht bleibt die Dunkelheit dunkel, das Licht hell und beides in einer Polarität.

Unentrinnbar All-Eins

Vielleicht mag ich Ostern deshalb so: Weil es eine Erinnerung daran ist, dass Menschsein heißt, im Licht und im Schatten zu leben, Teil der Erde und des Himmels, Leib und Geist gleichzeitig zu sein. Und darin immer wieder zu scheitern und zu leuchten, zu fallen und aufzusteigen, zu sein und zu sterben.

Es ist ein Trost für alle, die mit sich ringen, die Fragen und Zweifel haben, ob es einen richtigeren Weg gäbe als den ihren. Die Oster-Antwort darauf heißt: Mögest du von Herzenswärme erfüllt sein, mögest du Herz sein für dich und die Welt und Frieden schließen mit allem, was ist.

 

 

 

Veröffentlicht von

Conny Dollbaum-Paulsen

Präsenzcoach, Unternehmerin, Text- und Wortweberin, und lebendig geprüfte Essentiologin

4 Gedanken zu „Ein Ostergruß“

  1. Liebe Conny, Dein Beitrag zu Ostern hat mich tief bewegt. Die buddhistische Sichtweise auf das christliche Ostern ist für mich neu und gut.
    Vielen Dank !
    Für mich kommt da noch der kraftvolle Aufbruch der Natur hinzu, der Ostern ein großes Fest sein lässt. Der Start in etwas ganz Neues.
    Herzlich Antonia

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  2. gefällt mir sehr gut. diese art der übersetzung habe ich, da trotz nicht-mehr-christlich in einem gospelchor singend, sehr oft für mich gesucht und finden müssen, um die texte mitsingen zu können.

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